Modell der Gesamtanlage des KZ Dachau
Rekonstruktion und Recherche
Obwohl allein das körperliche Modell des KZ Dachau Gegenstand der Beauftragung war, gesellte sich bereits zu Projektbeginn ungefragt eine Aufgabe hinzu, die die Produktionszeit erheblich verlängerte und mehr Zeit verschlang als die eigentliche Fertigung: die Recherche.
Vor dem Hintergrund des Wunsches nach detaillierter Darstellung aller Gebäude des KZ Dachau auf dem Modell, der sich im Rahmen der Findung der Darstellungsform im Gespräch mit dem Auftraggeber entwickelte, erwiesen sich die überlassenen Unterlagen vorwiegend fotografischer Art als nicht hinreichend.
Vor allem für die Gebäudedarstellung, aber auch den Lageplan war nach zusätzlichen Quellen, am besten Planunterlagen zu suchen. Viele Dokumente „überwinterten“ als Kopien zunächst amerikanischer, später deutscher Liegenschaftsverwaltungen im zuständigen staatlichen Hochbauamt. Durch Behördenabgaben gelangten einige ins Staatsarchiv München und weitere, die die Zeitschicht des 1. Weltkriegs betreffen, die im westlichen Teil des Lagers anzutreffen ist, fanden sich im Bayer. Hauptstaatsarchiv (Kriegsarchiv). Ca. 300 dieser Planunterlagen wurden genauer untersucht und ausgewertet. In jeweils eigenen CAD-Dateien wurden für jedes Hausobjekt in unterschiedlicher Ausführlichkeit Grundriss, Ansichten und z.T. Schnitte beschrieben und dabei Dachform, Öffnungen, Wandvorlagen, Gauben und Kamine festgelegt. Es gelang, 180 von knapp 400 Hausobjekten detailliert zu rekonstruieren.
Haltung und Thema
Ich sehe das Modell des KZ Dachau als Dokument, das nicht nur darüber Auskunft gibt, was wir baulicherseits über die damalige Zeit wissen, sondern in der Form seiner Behandlung auch über uns und unsere Zeit. Daher waren handwerkliche, inhaltliche und gestalterische Sorgfalt selbstverständlich – wenn man so möchte auch als späte Referenz vor den Leiden der Opfer.
Es ist dem Auftrag zur Darstellung des gesamten Lagerkomplexes zu verdanken, die das bisherige großmaßstäbliche Modell des Häftlingslagers ablöst, dass der Blick geweitet wird auf das Konglomerat aus Konzentrationslager, SS-Übungslager, Standort der Waffen-SS und Produktionskomplexen, und jene verdrängten Lagerteile in Erinnerung gebracht werden, die aufgrund ihrer fortwährenden Nichtbetretbarkeit dem Vergessen anheim zu fallen drohen und vorwiegend in dem Bereich liegen, der heute von der Bereitschaftspolizei genutzt wird.
Material und Ausdruck
Bei einer vergleichenden Bemusterung fiel die Wahl auf einen Darstellungsmodus, der stark von der Ausstrahlung und Farbigkeit der verwendeten Materialien lebt: Faserzement und aluminiumgefüllter Polyurethanschaum. Besonders das unterschiedliche Erscheinungsbild des Faserzements, einmal unberührt homogen und weich in der Darstellung der Vegetationsflächen, das andere Mal durch Befräsung zur Darstellung vertiefter Straßenebenen seine expressiven mineralischen Spuren preisgebend, fasziniert. Die eingesetzte Eigenfarbigkeit der Werkstoffe wirkt unverstellt direkt. Bei aller Detaillierung im Einzelnen bleibt aufgrund der Materialwahl die Darstellung als Ganzes zugleich kühl und distanziert. Mit Faserzement ist ein Werkstoff aufgegegriffen, der im Lager für den Bau der Baracken verwendet wurde.
Distanz und Nähe
Das Modell vereint, wie Abbildungen belegen, Überblicksqualität und Orientierung über Strukturen mit Detaillierung des Einzelgebäudes. Auf die Darstellung von Vegetation ist der Klarheit wegen verzichtet, allein die Pappelallee der Lagerstraße ist wiedergegeben.
Kontext und Aufstellung
Trotz der hohen Darstellungsintensität erfordert das Verstehen inhaltlich-funktionaler Zusammenhänge des Lagers ergänzende Erklärung, die das Modell auf sich allein gestellt nicht zu geben vermag. Für die Aufstellung des Modells in der Mitte des Rundgangs durch das KZ, an der Nahtstelle zwischen erstem und zweitem Ausstellungsabschnitt, war Lage und Qualität des Raums ausschlaggebend, der in der Achse der Lagerstraße des Häftlingslagers liegt. Über den Blick nach draußen können hier Modell und Wirklichkeit in Beziehung gesetzt werden.
Querverweise
Für das Lern- und Dokumentationszentrum Mittelbau-Dora bei Nordhausen haben wir 2004/05 ein großes Lagermodell für den Außenraum gefertigt.
Für die neue Dauerausstellung im Lern- und Dokumentationszentrum haben wir 2006 ein weiteres Modell für den Innenraum gebaut. Es zeigt die Lagerstandorte des KZ Mittelbau in der abstrahierten Landschaft des Harzes im Maßstab 1:25000.
2014/15 haben wir im Außenbereich der KZ-Gedenkstätte Mittelbau-Dora einen „Weg der Erinnerung an die Außenlager“ entlang der noch vorhandenen Bahnhofsrampen gestaltet.
Eckdaten
ORT
Dauerausstellung in der KZ-Gedenkstätte Dachau
MASSSTAB
1:600
MASSE
253 x 258 x 15cm (L x B x H)
MATERIAL
Faserzement, aluminiumgefülltes Polyurethan, Acrylglas
AUSFÜHRUNG
2001–03
FERTIGUNGSUMFANG
2800 h
AUFTRAGGEBER
Haus der Bayerischen Geschichte
BEARBEITER
Recherche und Informationsaufbereitung: Thomas Birkle, Peter Götz, Claudius Karlinger, Elisabeth Lukas-Götz, Gerhard Wandinger
Produktion der Grundplatte: Carl August Bembé, Fa. Franz Fischer, Peter Götz, Jörg Röser, Fa. Scherl
Produktion der Gebäude: Peter Götz, Jan Kurz, Markus Möslein, Winfried Meyer-Speer, Gerhard Wandinger
FOTOS
Jens Maria Weber, München und sehen + verstehen, München
Lisa Lukas-Götz, München (Reihe „Verhör im Licht“)